Outsourcing-Strategien in turbulenten Zeiten, Konzept der virtuellen Organisation

Gunnar Sohn

Führungskräften bleibt es in turbulenten Zeiten nicht erspart, schwere und unbequeme Entscheidungen für ihr Kerngeschäft zu fällen. Organisationen, die aus einer Rezession gestärkt hervorgehen wollen, müssen bei einer Senkung ihrer Betriebskosten gleichzeitig das Fundament für ein robustes Wachstum der Zukunft legen. „Nach zwei für die gesamte Volkswirtschaft und die IT-Branche gleichermaßen schwierigen Jahren fordern die Vorstände von ihren IT-Abteilungen –Maßnahmen zur Drosselung der Kosten und zur Steigerung der Leistungsfähigkeit, um so die Effizienz der Geschäftstätigkeit zu steigern", so die englische IT-Journalistin Lindsay Nicolle in einem Beitrag für den Fachdienst "IT Executive Business Briefing" des Personaldienstleisters Harvey Nash.

Outsourcing sei das Gebot der Stunde, denn die Vergabe bestimmter Teilbereiche der geschäftlichen Tätigkeit an externe Zulieferbetriebe gestatte es den Unternehmen, sich ganz auf ihr Kerngeschäft zu konzentrieren. "Der Trend geht hin zu einem verstärkten Outsourcing der sogenannten Managed Services und beginnt, unter dem Schlagwort des Business Process Outsourcings (BPO) auch die zentraleren geschäftlichen Verfahren mit einzubeziehen", führt Nicolle weiter aus. Im Verlauf des vergangenen Jahrzehnts hätten viele Unternehmen – aus eigener bitterer Erfahrung – gelernt, durch gezieltes IT-Outsourcing klassische Fehler wie die Aufgabe von Kontrollmechanismen, überhöhte Erwartungen und den Verlust technologischer Alternativstrategien zu vermeiden. Zumindest ein schwerer Fehler aber werde auch heute noch begangen: manche Unternehmen demontieren im Zuge des Outsourcings ihre IT-Abteilungen bis zu dem Punkt, an dem sie über keine nennenswerte Kompetenz und Sachkenntnis mehr verfügen – Pioniere für Managed Services und BPO sollten sich dieses Risikos bewusst sein.

"Die größte Gefahr des Outsourcings besteht darin, dass die betreffende Organisation am Ende über niemanden verfügt, der dem externen Dienstleister auf die Finger schauen könnte," warnt Simon La Fosse, Direktor von Harvey Nash: "Das ist eine höchst gefährliche Entwicklung, weil dann niemand mehr die Dinge steuern kann oder zu beurteilen vermag, ob das Dienstleistungsunternehmen gute Arbeit leistet oder nicht." Das Outsourcing von Managed Services sei die richtige Lösung für Unternehmen, die nach einem Partner für den Betrieb ihres IT-Systems und dessen preisgünstige und effiziente Abwicklung suchen. Die betriebseigene IT-Abteilung könne sich dann ganz darauf konzentrieren, Mehrwert für das Unternehmen zu schaffen und müsse sich nicht bei lästigen Routinearbeiten verzetteln. Typische IT-Aufgabenfelder aus dem Bereich Managed Services sind die Begleitung technischer Umstellungen, die Wartung der Betriebssysteme und Arbeiten an der Infrastruktur außerhalb der Betriebszeit.

Nach Schätzungen von IT-Consultants der Butler Group entfällt bis zu einem Drittel des gesamten IT-Budgets auf diesen Bereich. "Wer aber zu radikalen Maßnahmen bereit ist, um die Gewinnsituation seines Unternehmens entsprechend radikal zu verbessern, der muss seinen Blick vom sicheren Ufer lösen und in die Ferne schweifen lassen: Das Offshore-Outsourcing von geschäftlichen Verfahren ist nichts für zaghafte Gemüter", betont die Journalistin Nicolle. BPO bringe das Konzept der "virtuellen Organisation" der Wirklichkeit einen Schritt näher. Diese Strategie stecke allerdings voller Tücken und Gefahren. Mit dem bloßen Outsourcing routinemäßig abzuwickelnder IT-Dienstleistungen habe das Ganze nur noch wenig zu tun.

„Wenn Unternehmen heute Unterstützung für ihr Outsourcing suchen, geht es ihnen zumeist nicht nur um die Auslagerung einzelner Projekte, sondern darum, den Nutzen des Outsourcing, der weit über das einfache Kostensparen hinausgeht, voll auszuschöpfen. Sie erwarten langfristig angelegte Partnerschaften, Finanzierungsmodelle und eine Risikoverteilung, welche die Integration innovativer Strategien erlaubt und die daraus entstehenden Geschäftsprozesse voll unterstützt“, so die Erfahrung von Mark Brown, Geschäftsführer des Krefelder Call Center-Dienstleisters Sitel, www.sitel.de. Traditionelle Outsourcing-Beratung reiche dabei nicht aus, es sei vielmehr wichtig, seinem Kunden als Partner mit einer Vision für die Gestaltung und Beschleunigung des Unternehmenswandels zur Seite zu stehen.

"Unternehmen, die hier einfach so hineinstolpern und glauben, mit den gleichen Methoden wie beim konventionellen IT-Outsourcing operieren zu können, werden ihr blaues Wunder erleben," warnt Alex Blues, Chefberater der BPO-Consultants von Orbys Consulting: "Offshore-BPO hat seine eigenen, weitaus komplexeren Regeln und findet auf einem Spielfeld statt, das ständig und in mehreren Dimensionen zugleich seine Koordinaten verändert – durch die Erschließung neuer Standorte und die Entwicklung neuer Leistungsangebote, bei uns vor der Haustür wie auf der ganzen Welt."

Im Gegensatz zum konventionellen IT-Outsourcing habe BPO direkte Auswirkungen auf alle Bereiche des betreffenden Unternehmens. Hinter einem „geschäftlichen Verfahren" schließlich können sich höchst unterschiedliche Transaktionen und Leistungen verbergen, von der simplen Abwicklung eines Zahlungsverfahrens oder Versicherungsanspruchs über den Betrieb eines Call Centers, die Ermittlung, Integration und Verwaltung von Daten, Fernausbildung und Marktforschung bis zur kompletten Übernahme der Aufgaben von Finanz- und Buchhaltungswesen und der Personalabteilung.

"Offshore-BPO ist unternehmerisches Neuland, und ob die Unternehmen bei ihrer Expedition den von ihnen gesuchten geschäftlichen Erfolg finden, hängt wesentlich von der Wahl des richtigen Standortes und Dienstleistungspartners ab", so Nicolle. Nirgends auf der Welt gäbe es derzeit anerkannte Zentren der Exzellenz für Offshore-BPO, dafür aber eine Menge Kandidaten, die sich diesen Titel gegenseitig streitig machen – besonders Indien, Südafrika, die Philippinen, China, Tschechien und Russland. Jedes dieser Länder biete spezielle Fachkompetenzen und Potenziale an und locke mit geographischen und wirtschaftlichen Vorteilen. Bedauerlicherweise aber habe nach Einschätzung von Nicolle jedes dieser Länder auch seine eigenen Probleme – kulturelle Traditionen, lückenhafte Gesetze, Sprachbarrieren und die besonderen Tücken nationaler Arbeitsrechts- und Datenschutzbestimmungen. Dennoch rechnet ICICI Securities damit, dass sich das Marktvolumen für BPO-Leistungen bis zum Jahr 2007 weltweit von derzeit 75 Milliarden auf 102 Milliarden Dollar vergrößern wird. Die Wirtschaftsberater von McKinsey erwarten bis zum Jahr 2008 einen Sprung auf mehr als 140 Milliarden, aber wenn die Experten von Gartner Research Recht behalten, entwickelt sich das Volumen des BPO-Marktes allein bis zum Jahr 2005 auf die Summe von 234 Milliarden Dollar.